16.02.2018
Artikel
Die Anziehungskraft Berlins
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Berlin wächst und wächst und platzt sprichwörtlich aus allen Nähten: Allein zwischen den Jahren 2010 und 2016 ist die Einwohnerzahl Berlins um 8,4 % gestiegen. Mit seinen derzeit 3,67 Mill. Einwohnern rangiert Berlin auf Platz 1 als bevölkerungsreichste Stadt Deutschlands und wird laut aktueller Bevölkerungsprognose (2015–2030) noch weiter wachsen. Im vorliegenden Beitrag soll mithilfe der Wanderungsdaten aus dem Einwohnermelderegister gezeigt werden, woher die Neu-Berlinerinnen und Neu-Berliner kommen.
Am Ort der Hauptwohnung melderechtlich registrierte Einwohner seit 1991
Berlin unterliegt seit den 1990er Jahren starken Schwankungen in seiner Einwohnerzahl. Stieg diese kurz nach der Wiedervereinigung bis ins Jahr 1993 auf 3,46 Mill. Einwohner an, fiel ihre Zahl langsam und pegelte sich zu Beginn des neuen Jahrtausends bei 3,33 Mill. Einwohner ein. Seit dem Jahr 2010 erlebt Berlin einen erneuten, aber auffällig rasanten Anstieg seiner Einwohnerzahl. In nur sieben Jahren stieg diese um 283 000 von 3,39 Mill. Einwohnern im Jahr 2010 auf 3,67 Mill. im Jahr 2016. Prozentual entspricht das einem Zuwachs von 8,4 %. Im Durchschnitt stieg die Einwohnerzahl in diesem Zeitraum jährlich um etwa 43 000 Personen. Den größten Anstieg gab es im Jahr 2016 mit 60 000 Personen.
Entwicklung der Einwohnerzahl
in den Berliner Bezirken seit 2010
Ausgehend von den letzten sieben Jahren, in denen ein stetiger Einwohnerzuwachs in Berlin zu erkennen ist, stellt sich die Frage, ob alle Bezirke vom Wachstum betroffen sind. Die Frage lässt sich auf den gesamten Zeitraum bezogen eindeutig mit einem „Ja“ beantworten.
Allein der Bezirk Mitte hat seit dem Jahr 2010 fast 45 000 Einwohner hinzugewonnen und verzeichnet mit 13,7 % den höchsten relativen Anstieg, gefolgt von Lichtenberg mit 11,7 %, Pankow mit 10,4 % und Spandau mit 10,0 %. Schlusslichter bilden die Bezirke Tempelhof-Schöneberg mit 5,1 % und Steglitz-Zehlendorf mit einem Zugewinn von 4,2 %. Alle Bezirke haben in den letzten sieben Jahren dynamisch an Einwohnern hinzugewonnen, wobei die Einwohnerzahl in Tempelhof-Schöneberg in den Jahren 2011 und 2012 zuerst abfiel und 2012 sogar ein negatives Wachstum von –0,2 % erreichte. Seitdem steigt auch in diesem Bezirk die Einwohnerzahl stark an. Im Vergleich zu den anderen Bezirken wächst der Bezirk Steglitz-Zehlendorf im Untersuchungszeitraum wesentlich langsamer: Im Jahr 2015 zogen im Saldo lediglich 500 Einwohner (0,2 %) in diesen Bezirk. In 2016 konnte ein Anstieg von knapp
4 300 Einwohnern (1,4 %) verzeichnet werden.
Gegenüber dem Vorjahr wiesen fast alle Bezirke 2016 erneut ein Plus an Einwohnern auf und erreichten berlinweit einen Zuwachs von insgesamt 1,7 %. Neukölln muss als einziger Bezirk einen Verlust von –0,2 % hinnehmen.
Migrationsströme seit 2010
Die Wanderungsdaten aus dem Einwohnermelderegister geben Auskunft über Zuzüge und Fortzüge von Personen mit Hauptwohnsitz innerhalb und über die Grenzen Berlins. Anhand der Differenz dieser beiden Größen lässt sich der Wanderungssaldo, also der Wanderungsgewinn oder -verlust berechnen.
Für den Zuwachs der Berliner Einwohnerzahl ist die Migration über die Landesgrenze maßgeblich und somit die Frage, woher die Zugezogenen kommen und welcher Saldo sich aus den Zu- und Fortzügen ergibt. Seit Beginn des neuen Jahrtausends verzeichnet Berlin mehr Zu- als Abwanderungen und damit jährlich einen, wenn auch schwankenden, Wanderungsgewinn. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass der positive Wanderungssaldo ab dem Jahr 2010 kontinuierlich zurückging und im Jahr 2014 mit einem Wanderungsgewinn von rund 26 000 Personen (–38,5 % zum Vorjahr) seinen Tiefpunkt erreichte. 2015 stieg das Wanderungsplus um 87,0 % an und auch 2016 nahmen die Zuzüge weiter stark zu, während die Fortzüge nur leicht stiegen. Zurückzuführen ist der starke Anstieg vor allem auf den verstärkten Zuzug von Asyl- und Schutzsuchenden im Jahr 2015 und deren nachträglicher melderechtlichen Registrierung im Jahr 2016.
… differenziert nach Altersjahren
Berlin zieht besonders jüngere Altersgruppen an. Die höchsten Wanderungssalden ergeben sich entsprechend in der Altersgruppe der 18- bis unter 30-Jährigen mit einem Zugewinn zwischen 2010 und 2016 von pro Jahr durch-schnittlich 32 900 Personen. Die Jahre 2015 und 2016 stechen aufgrund des Flüchtlingszustroms mit 35 400 bzw. 42 600 Personen besonders heraus. Im Kontext der Migration von Schutzsuchenden ist auch ein Anstieg in der Altersgruppe der 0- bis unter 18-Jährigen zu erkennen. Lag der Zuwanderungsgewinn in dieser Altersgruppe im Jahr 2010 noch unter 400 Personen, stieg er im Jahr 2015 um das 22-fache an. Ein Jahr später, im Jahr 2016, erhöhte sich der Wanderungssaldo um weitere 1 800 Personen.
In der Altersklasse 30 bis unter 50 Jahre fiel der Wanderungssaldo dagegen niedriger aus. Er schwankte zwischen einem Verlust von –4 000 Personen im Jahr 2010 und einem Plus von durchschnittlich 3 600 Personen in den Jahren 2011 bis 2013. Im Vergleich dazu war der Zuwachs an den 30- bis unter 50-Jährigen allein im Jahr 2015 mehr als doppelt so hoch (+7 300 Personen) und erhöhte sich im Jahr 2016 nochmals leicht um 10,0 %. Ab einem Alter von etwa 50 Jahren nimmt die Wanderungsdynamik kontinuierlich ab. Im Betrachtungszeitraum sind hier überwiegend negative Wanderungssalden zu verzeichnen.
… differenziert nach Außentypen
Der anhaltende positive Wanderungssaldo in Berlin ist vor allem auf den starken Zuzug aus dem Ausland¹ zurück-zuführen. Seit 2016 nehmen zudem auch die Wanderungen aus den alten und neuen Bundesländern² wieder zu. Das Wanderungsgeschehen mit dem Berliner Umland verzeichnet weiterhin einen negativen Wanderungssaldo, zeigt aber zuletzt einen leichten Aufwärtstrend.
Die Unterteilung nach den Außentypen: Ausland, alte und neue Bundesländer, Berliner Umland ermöglicht im Folgenden einen genaueren Blick auf die Herkunfts- und Zielgebiete der Wandernden.
Migration zwischen Berlin und dem Ausland
Im Saldo sind mehr als 204 000 Personen zwischen 2010 und 2016 aus dem Ausland nach Berlin gezogen.³ Das entspricht einem Anstieg von 108,4 %. Fast die Hälfte der zugewanderten Personen (93 700) können auf die Jahre 2015 und 2016 verteilt und im Wesentlichen auf die Zuwanderung von Asyl- und Schutzsuchenden zurückgeführt werden. Kam der Zuwanderungsstrom 2010 vor allem aus dem ost- und südeuropäischen Raum, wanderten die Menschen 2015 und 2016 vornehmlich aus Krisenregionen wie Syrien, Afghanistan und dem Irak zu.
Aus Syrien stammen 25 700 Personen der in den Jahren 2015 und 2016 Zugewanderten, gleichzeitig zogen lediglich 100 Personen von Berlin nach Syrien. Es ergibt sich ein Überschuss von 25 600 Personen. Für Afghanistan ergibt sich ein Plus von 8 100 Personen, für den Irak von 6 600 Personen. Im Jahr 2010 fand noch überhaupt keine Wanderungs-bewegung zwischen Syrien und Berlin statt, lediglich Zuwächse von 200 Personen aus Afghanistan und 100 Personen aus dem Irak waren zu verzeichnen.
Neben den bereits genannten Krisengebieten erlebte Berlin einen starken Zuwachs aus dem osteuropäischen Raum. Waren im Jahr 2010 vor allem Personen aus Polen, Bulgarien und Rumänien (insgesamt 8 400) für das Wanderungs-plus verantwortlich, kamen in den Jahren 2015 und 2016 jeweils rund 13 000 Personen dazu, ein Plus von 60,0 % bzw. 54,6 %.
Auch aus dem afrikanischen Raum nahmen die Zuwanderungen zu. So lag der positive Wanderungssaldo im Jahr 2010 bei etwa 800 Personen und stieg in 2016 um 320,9 % auf fast 3 600 Personen, die zumeist aus Ägypten, Libyen, Eritrea und Tunesien stammten.
Berlin ist aber auch für Personen aus dem europäischen Raum ein Magnet. Zuwanderungen im Jahr 2010 aus den GIIPS-Ländern (Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien) waren möglicherweise der globalen Finanzkrise und der einhergehenden steigenden Arbeitslosigkeit in diesen Ländern geschuldet. Aus den Wanderungs-bewegungen mit Italien und Spanien ergaben sich mit 1 600 bzw. 1 500 Personen die größten Überschüsse. Zuwanderungen aus Griechenland und Portugal fielen wesentlich geringer aus. Auch wenn sich die wirtschaftliche Lage in diesen Ländern deutlich stabilisiert hat, sind im Jahr 2016, mit Ausnahme von Spanien (–39,3 %), die Wanderungsüberschüsse gestiegen. Im Vergleich zu 2010 ist Griechenland 2016 mit einem relativen Anstieg von 186,0 % Spitzenreiter der GIIPS-Länder, gefolgt von Portugal (115,6 %) und Italien (61,8 %).
Die Volksabstimmung im Vereinigten Königreich zum sogenannten „Brexit“ scheint ebenfalls dazu beizutragen, dass Berlin britische Staatsbürger hinzugewinnt. Im Brexit-Jahr 2016 ergab sich gegenüber 2010 ein positiver Wanderungssaldo von rund 2000 Personen (185,0 %). Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die Höhe der Zuwanderung aus den Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen Föderation. Zogen im Jahr 2010 noch 1100 Amerikaner mehr nach Berlin als fort, ergab sich im Jahr 2016 bereits ein Plus von 83,2 %. Aus der russischen Föderation nahm der Wanderungsüberschuss 2016 mit 1 400 Personen um 59,1 % gegenüber dem Jahr 2010 zu.
Migration zwischen Berlin und den anderen Bundesländern
Sowohl aus den neuen als auch aus den alten Bundesländern verlegen Menschen ihren Hauptwohnsitz nach Berlin. Der positive Wanderungssaldo zwischen Berlin und den alten Bundesländern ist zwischen 2010 und 2015 konstant zurückgegangen. 2015 lag mit einem Minus von 33,6 % der geringste Zuwachs gegenüber 2010 vor. Erst 2016 stieg der Überschuss sprunghaft um 73,7 % gegenüber dem Vorjahr an. Mit Ausnahme von Schleswig-Holstein
(–100 Personen gegenüber 2010) verzeichnete Berlin 2016 aus allen alten Bundesländern einen verstärkten Wanderungsgewinn. Die höchsten Wanderungsüberschüsse erzielte Berlin mit 4 600 Personen aus Nordrhein-Westfalen, 3 000 Personen aus Bayern und 2 600 Personen aus Baden-Württemberg. Unverändert hoch bleibt damit die Zuwanderung aus Nordrhein-Westfalen, denn schon im Jahr 2010 ergab sich hier ein positiver Saldo von 4 000 Personen.
Auch der Wanderungsüberschuss aus den neuen Bundesländern nahm zwischen 2010 und 2015 ab und fand im Jahr 2015 seinen Tiefpunkt (–88,5 %; 939 Personen). Danach stieg der Wanderungssaldo wieder leicht an und erreichte 2016 im Vergleich zum Vorjahr einen mehr als dreimal so hohen Anstieg (236,6 %). Besonders auffällig sind die Wanderungsbewegungen zwischen Berlin und dem Land Brandenburg4: War im Jahr 2010 noch ein Überschuss zu verzeichnen, verringerten sich die Zuzüge so stark, dass 2015 ein Verlust von 144,3 % vorlag. 2016 reduzierte sich der negative Saldo geringfügig. Das Bundesland Sachsen sticht auch 2016 mit dem höchsten Überschuss von 1 500 Personen heraus, auch wenn dieser um 26,6 % gegenüber dem Jahr 2010 sank.
Migration zwischen Berlin und dem Berliner Umland
50 Brandenburger Städte und Gemeinden gehören zum Berliner Umland und bilden zusammen mit der Hauptstadt eine gemeinsame Planungsregion. Seit Jahren ist ein Suburbanisierungsprozess zu beobachten, der dazu führt, das Berlin Einwohner an das Umland verliert. Dabei handelt es sich vor allem um Menschen der Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen. Umgekehrt sind es vor allem jüngere Menschen, die für positive Wanderungssalden in Berlin sorgen.
Im Gegensatz zu den bereits genannten drei Herkunfts- und Zielregionen verzeichnet Berlin gegenüber dem Berliner Umland über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg einen negativen Wanderungssaldo. 2015 erreichte Berlin mit –162,1 % den höchsten Wanderungsverlust gegenüber 2010. Im Jahr 2016 ging dieser wieder leicht um 12,9 % zurück. Ob es sich hierbei um einen singulären Effekt handelt oder von einer Trendwende hin zu einem Sub-urbanisierungsstopp gesprochen werden kann, werden die nächsten Jahre zeigen.
Auch wenn die Verluste an das Berliner Umland 2016 insgesamt zurückgingen, bleiben die Stadt Potsdam (–700 Personen) und die Gemeinden Falkensee (–500 Personen) und Teltow (–400 Personen) weiterhin attraktiv für die „stadtflüchtigen“ Berliner. Sorgten im Jahr 2010 noch sieben Gemeinden für einen kleinen Wanderungsüberschuss, waren es in 2016 mit Großbeeren (82 Personen) und Birkenwerder (3 Personen) nur noch zwei.
Zusammenfassung
Berlins gegenwärtig hohe Attraktivität als lebendige Metropole mit einer guten wirtschaftlichen Lage sorgt dafür, dass die Stadt seit dem Jahr 2010 stetig wächst und einen regelrechten Einwohnerboom erlebt. Vor allem jüngere Personengruppen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren zieht es zum Wohnen, Studieren oder Arbeiten in die Hauptstadt.
Hauptverantwortlich für das starke Wachstum sind vor allem die Auslandswanderungen, deren dynamischer Anstieg seit dem Jahr 2015 durch die nicht vorhersehbaren krisenbedingten Zuwanderungen verstärkt wurde. Aber auch Menschen aus politisch stabilen Regionen lockt es nach Berlin. Darüber hinaus nimmt die Zuwanderung aus den anderen Bundesländern nach einem Einbruch im Jahr 2015 wieder zu. Vor allem für Menschen aus den neuen Bundesländern gewinnt Berlin erneut an Attraktivität.
Seit Jahren schon verzeichnet Berlin aber auch einen negativen Wanderungssaldo gegenüber seinem Umland. Das Leben im Grünen, das vergleichsweise günstigere Bauen und Wohnen und andere soziale Aspekte regen den Suburbanisierungsprozess an. Zugleich sorgt der öffentliche Nahverkehr für eine schnelle Anbindung an die Hauptstadt. Die Anziehungskraft Berlins hält an und bekommt seit 2016 eine neue Dynamik.
von Katja Niemann-Ahrendt
Referat Bevölkerung, Kommunal- und Wahlstatistik
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1 Ausgangspunkt ist der letzte gemeldete Wohnort einer Person.
2 Die Berliner Umlandgemeinden sind hier nicht enthalten und werden separat ausgewiesen.
3 Aufgrund fehlender Angaben
im Einwohnermelderegister
können nicht in allen Fällen
grenzüberschreitender Wanderungen das Herkunftsquell- bzw. Wegzugsziel-Gebiet ausgewiesen werden
4 ohne das Berliner Umland