15.10.2019
Artikel
Wie viele Ausländer leben in Berlin?
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Am 27.04.2018 titelte die Berliner Morgenpost nach Veröffentlichung der Ergebnisse der Ausländerstatistik 2017: „Berlin vergisst 200 000 Ausländer“. Die Morgenpost beleuchtete in ihrem ausführlichen Beitrag die Hintergründe. Die Aufregung seitens der Nutzerinnen und Nutzer der Daten des Amtes für Statistik (AfS), insbesondere in der Verwaltung, war groß. Das AfS erreichte vielfach die Frage „Wie viele Ausländer leben denn nun in Berlin?“ und klärte über die im Umlauf befindlichen Zahlen auf – denn veröffentlicht wurde nicht nur eine Ausländerzahl. Am 31.12.2018 lebten 675 210 Ausländerinnen und Ausländer in der Bundeshaupt-stadt. Oder waren es vielleicht 748 472 oder doch 795 391? Ein Stichtag, drei Zahlen, eine Differenz von 120 000 Personen – da ist Konfusion vor- programmiert. Die „Lösung“ ist allerdings vergleichsweise einfach, denn die voneinander differierenden Zahlen gehen auf drei verschiedene Quellen zurück: Bevölkerungsfortschreibung, Einwohnerregisterstatistik und Ausländerstatistik.
Bevölkerungsfortschreibung
Die Bevölkerungsfortschreibung wird auf Grundlage des Bevölkerungsstatistikgesetzes¹ bundesweit einheitlich erstellt. Die Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung sind die Basis für die Verteilung der Länderstimmen im Bundesrat, den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern oder auch allgemeine Planungsaufgaben. Im Zuge der Bevölkerungsfortschreibung wird die Zahl der Ausländer, untergliedert nach demografischen Merkmalen, bis auf Ebene der Gemeinden bestimmt. Ergebnisse nach einzelnen Staatsangehörigkeiten liegen dabei nur auf Landes-ebene vor.
Ausgangsbasis für die Bevölkerungsfortschreibung ist aktuell der Zensus 2011. Damals wurde auf Grundlage eines Abzuges der Einwohnerregister und einer Stichprobe, die unter anderem „Karteileichen“ und Fehlbestände identifizierte, die amtliche Bevölkerungszahl ermittelt. Der Zensus ergab, dass rund 180 000 Personen, davon ca. 100000 Ausländer, weniger in Berlin lebten als im Einwohnermelderegister erfasst waren. Aufgrund des Rückspielverbotes² zwischen Statistik und Verwaltung konnten die im Zensus gewonnenen Erkenntnisse nicht in das Melderegister übernommen werden. Seither wird der Bevölkerungsstand monatlich auf Basis von Mitteilungen des Melde- und Personenstandswesens im AfS fortgeschrieben. Die Zensuskorrektur ist die Hauptursache für den Unterschied zwischen der Bevölkerungsfortschreibung und der Einwohnerregisterstatistik.
Einwohnerregisterstatistik
Im AfS wird halbjährlich ein Abzug aus dem Berliner Melderegister im Rahmen der Einwohnerregisterstatistik ausgewertet. Das AfS nimmt damit städtische Aufgaben wahr und ist Mitglied des Verbundes Kommunales Statistisches Informationssystem (KOSIS). Die gesetzliche Grundlage für diese Statistik ist die Berliner Übermittlungsverordnung³. Mit der Einwohnerregisterstatistik können nicht nur, wie in der Bevölkerungs-fortschreibung, Angaben zu ausländischen Einwohnern nach ihrer Staatsangehörigkeit gemacht werden. Die Einwohnerregisterstatistik liefert für Berlin Ergebnisse unterhalb der Gemeinde-/Landesebene und hält einen breiteren Merkmalskranz bereit. So können Aussagen zu Personen ausländischer Staatsangehörigkeit auch auf Ebene der kleinteiligen Planungsräume4 getroffen werden. Neben den bereits angesprochenen, auf den Zensus zurückzuführenden Abweichungen von der Bevölkerungsfortschreibung, führt die Auswertungsmethodik zu weiteren Abweichungen. Während für die Bevölkerungsfortschreibung auch noch Daten verarbeitet werden, die nach dem 31.12. eines Jahres an die amtliche Statistik übermittelt werden (Ereigniszeitpunkt), wird die Einwohner-registerstatistik zu einem bestimmten Verarbeitungszeitpunkt erstellt. Am konkreten Beispiel bedeutet dies, dass eine Person, die im Dezember 2017 (Ereignis) nach Berlin gezogen ist, sich jedoch erst im Januar oder gar Februar 2018 (Verarbeitung) im Einwohnermeldeamt als zugezogen meldet, zwar in der Bevölkerungsfortschreibung für 2017, nicht aber in der Einwohnerregisterstatistik für 2017 enthalten ist. Durch die Erstellung des Einwohner-registerabzuges am 31.12. bleiben entsprechend alle Meldungen, die nach dem Stichtag (31.12.) in das Einwohner-melderegister fließen, bei der Auswertung der Einwohnerregisterstatistik unberücksichtigt.
Ausländerstatistik
Die dritte veröffentlichte Ausländerzahl stammt aus
der Ausländerstatistik. Auch hier ist ein Register, das
Ausländerzentralregister (AZR), die Datenquelle. Es
beruht rechtlich auf dem Ausländerzentralregistergesetz5. Methodisch unterscheiden sich die Quellen
durch die Abgrenzung des Berichtskreises: Während
im Einwohner-melderegister und in der Bevölkerungsfortschreibung alle Ausländer enthalten sind,
die sich melderechtlich registrieren, sind im AZR nur
solche Ausländer erfasst, die sich in der Regel länger
als 3 Monate in Deutschland aufhalten oder einen
Aufenthaltstitel beziehungsweise Asyl beantragt
haben. Die Bevölkerungsfortschreibung und die
Einwohnerregisterstatistik bilden die Ausländerzahl
nach demografischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht ab; aus der Ausländerstatistik können noch
zusätzliche Erkenntnisse über den aufenthaltsrechtlichen Status und die Aufenthaltsdauer der dort erfassten Ausländer gewonnen werden.
Da das AZR ein eigenständiges Register ist, kann es vorkommen, dass nicht alle Bereinigungen, die von der Verwaltung im AZR oder im Melderegister durchgeführt werden, auch Eingang in das jeweils andere Register finden. Solch eine Konstellation führte im Jahr 2017 zu den 200000 „vergessenen“ Ausländern. Nicht alle Anmeldungen von (vornehmlich) EU-Ausländern, die in den Meldebehörden registriert wurden, fanden ihren Weg auch in das AZR. Diese Ausländer wohnten mitunter bereits seit mehreren Jahren in Berlin. Dies wurde 2017 festgestellt und die Meldungen im AZR nachgeholt. Im darauffolgenden Jahr 2018 wurden jedoch 78000 von diesen nachträglichen Anmeldungen wieder zurückgenommen, da die entsprechenden Personen das Land bereits wieder verlassen hatten.
Auswertungszweck als Nutzungskompass
Welche der drei Zahlen nun zu verwenden ist, hängt entscheidend vom Zweck der Auswertung ab. Soll die ausländische Bevölkerung im Kontext der Gesamt- bzw. deutschen Bevölkerung analysiert werden, eignet sich vor allem die Bevölkerungsfortschreibung. Soll eine Analyse über die demografischen Merkmale hinaus auch Erkenntnisse zum aufenthaltsrechtlichen Status oder zur Aufenthaltsdauer erfassen, ist die Ausländerstatistik die Quelle der Wahl. Diese beiden Aussagen treffen nicht nur für das Land Berlin, sondern auch für Brandenburg zu. Dazu liefert die Ausländerstatistik auch Angaben zur Staatsangehörigkeit der Ausländer auf Ebene der Kreise. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die kreisfreie Stadt Cottbus und der Landkreis Spree-Neiße von einer gemeinsamen Ausländerbehörde betreut werden, weshalb für diese beiden Raumeinheiten nur zusammengefasste Ergebnisse vorliegen. Schließlich sollte die Einwohnerregisterstatistik genutzt werden, wenn eine Information über Ausländer auf kleinräumiger Ebene bis zu den Planungsräumen Berlins gewonnen werden oder der breitere Merkmalskranz dieser Registerstatistik genutzt werden soll.
Ergebnisse für Berlin und Brandenburg
In Berlin verliefen die Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung und der Einwohnerregisterstatistik
von 1991 bis 2010 im Großen und Ganzen deckungsgleich. Seit dem Jahr 2011, dem Jahr des Zensus,
weist die Bevölkerungsfortschreibung eine um rund 75 000 geringere Anzahl an Personen ausländischer
Herkunft aus als die Einwohnerregisterstatistik. Die
Werte der Ausländerstatistik sollten aufgrund ihres Berichtskreises eigentlich leicht unterhalb der
Bevölkerungsfortschreibung liegen; in den 1990er
Jahren lagen die Ergebnisse jedoch etwas höher.
Anfang der 2000er Jahre wurden Bereinigungen im
Ausländerzentralregister durchgeführt, was einen
starken Rückgang der Anzahl der dort registrierten
Ausländer zur Folge hatte. 2017 kam es laut Ausländerstatistik zu einem sprunghaften Anstieg der
Ausländerzahl. Die Ursache liegt in den bereits genannten Nachmeldungen. Aufgrund der Abmeldungen im Folgejahr ging die Zahl der Ausländer dieser
Quelle nach entgegen dem Trend im Jahr 2018 in
Berlin spürbar zurück.
In Brandenburg sind die Abweichungen zwischen
Bevölkerungsfortschreibung und Ausländerstatistik
(es gibt kein gesamtbrandenburgisches Pendant zur
Einwohnerregisterstatistik Berlins) in den Jahren bis
zum Zensus 2011 größer und unregelmäßiger als in
Berlin . Die Bereinigungen des Ausländerzentralregisters Anfang der 2000er Jahre fallen
in Brandenburg kaum ins Gewicht. Seit dem letzten Zensus liegt die Zahl der Ausländer laut Ausländerstatistik etwas höher als nach der Bevölkerungsfortschreibung.
Für Berlin und für Brandenburg ist davon auszugehen, dass die Ausländerstatistik die Anzahl der
Ausländer etwas überschätzt. Bei einer Wertung der
Qualität des Ausländerzentralregisters sollte jedoch
berücksichtigt werden, dass dessen statistische Auswertung nicht Zweck der Führung des Registers ist.
Es handelt sich vielmehr um ein Register zur Unterstützung der mit der Durchführung ausländer- oder
asylrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden.
von Martin Axnick
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1 Bevölkerungsstatistikgesetz vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 826), das zuletzt durch Art. 9 des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2639) geändert worden ist.
2 Das Rückspielverbot geht auf
das Volkszählungsurteil des
Bundesverfassungsgerichtes
von 1983 zurück. Es stellt sicher,
dass (im Zensus) gewonnene
persönliche Angaben streng
geheim zu halten sind und keinesfalls an Behörden wie Polizei
oder Finanzamt weitergegeben
werden dürfen. Dazu zählt auch
das Meldewesen.
3 Verordnung über die Übermittlung von Daten aus dem
Verwaltungsvollzug an das Amt
für Statistik Berlin-Brandenburg
(ÜbermittlungsVO) vom 20. Dezember 1993 (GVBl. S. 661),
BRV 29-2, zuletzt geändert
durch Art. 3 Nr. 5 G zur Ausführung des BundesmeldeG und
zur Änd. weiterer Vorschriften
vom 7. 7. 2016 (GVBl. S. 430).
4 Auf kleinräumiger Ebene wird
Berlin in „Lebensweltlich orientierte Räume“ unterteilt. Die
kleinste Einheit dieser Gliederung sind die Planungsräume.
Sie teilt die Stadt flächendeckend in 448 Räume auf. Mehr
zur räumlichen Untergliederung
Berlins in Bömermann, H.: Berlin
kleinräumig, in: Zeitschrift für
amtliche Statistik Berlin
Brandenburg, 2/2014.
5 Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz) vom
2. September 1994 (BGBl. I
S. 2265), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Juli
2017 (BGBl. I S. 2615) geändert
worden ist