Wie viele Menschen leben in Berlin? Welche Quelle ist die richtige?
Ein Anliegen, aber mehrere Zahlen in der amtlichen Statistik. Kann das sein? Ja. Und alle Zahlen sind korrekt. Wir klären auf....
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Dr. Otto Schmidt.
Für eine Evaluierung von Gesetzen – insbesondere bei einer externen Evaluierung durch die Wissenschaft – braucht es nicht nur verlässliche und qualitativ hochwertige Daten, sondern vor allem auch einen Zugang zu diesen Daten. Zu den amtlichen Datenproduzenten in Deutschland gehören – neben der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Bundesbank – mit einer Vielzahl und Vielfalt an Daten auch die statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Gerade für die Steuerpolitik sind die administrativen Daten der statistischen Ämter besonders relevant.
Die Aufgaben der statistischen Ämter des Bundes und der Länder werden in Gesetzen geregelt. Es gilt das Legalitätsprinzip. Zu nennen ist hier insbesondere das Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke: Gemäß § 1 Bundesstatistikgesetz (BStatG) haben die statistischen Ämter „[…] im föderativ gegliederten Gesamtsystem der amtlichen Statistik die Aufgabe, laufend Daten über Massenerscheinungen zu erheben, zu sammeln, aufzubereiten, darzustellen und zu analysieren. Für sie gelten die Grundsätze der Neutralität, Objektivität und fachlichen Unabhängigkeit.“
Die statistischen Ämter haben demnach das Mandat für amtliche Datenerhebungen und präsentieren statistische Ergebnisse zu verschiedenen Themen aus den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft, Gesundheit, Finanzen, Steuern und Bildung. Sowohl die wichtigsten Grundsätze der deutschen amtlichen Statistik als auch der Datenzugang und die statistische Geheimhaltung als zentrales Fundament der Beziehungen zu den Auskunftgebenden sind im BStatG verankert.
Grundsätzlich beruhen alle amtlichen Daten auf einer gesetzlichen Grundlage – keine amtliche Statistik ohne entsprechendes Gesetz. In der Regel gilt eine Auskunftspflicht, d. h. die Bürgerin, der Bürger, der Haushalt oder das Unternehmen als auskunftsgebende Instanzen sind verpflichtet, den statistischen Ämtern die Daten zu liefern. Damit steht der Auftrag der statistischen Ämter in einem Spannungsverhältnis zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieser Umstand macht die statistische Geheimhaltung zu einem zentralen Element. Alle für statistische Zwecke erhobenen Einzelangaben sind geheim zu halten und unterliegen einer gesetzlich bestimmten Zweckbindung. Zweck der Geheimhaltung von Einzelangaben ist nicht allein der Schutz der vertraulichen Einzelangaben, sondern auch die Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zwischen den Auskunftsgebenden und dem statistischen Amt.
In Deutschland wird die amtliche Statistik der Exekutive zugeordnet. Das Statistische Bundesamt ist eine oberste Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI).
Aufgaben und Stellung des Statistischen Bundesamtes sind im BStatG beschrieben, wie z. B. die methodische und technische Vorbereitung, die Regelung der Anordnung von Statistiken, die Auskunftspflicht, die Veröffentlichung der Bundesergebnisse und eben auch deren statistische Geheimhaltung. Dieses Gesetz wird i. d. R. durch Landesstatistikgesetze der Bundesländer ergänzt. Diese enthalten dem BStatG vergleichbare Regelungen für die Durchführung der Bundesstatistiken, der Landesstatistiken und die Organisation der statistischen Ämter der Länder, denn sie sind grundsätzlich für die Durchführung der Erhebungen, für die Aufbereitung und Veröffentlichung der Länderergebnisse zuständig.
Für die Inhalte der Daten – wer, wann und in welchen Umfang bestimmte Daten genau erhoben bzw. erfasst werden – braucht es Fachstatistikgesetze. Zum Beispiel werden u. a. die folgenden Steuerstatistiken im Gesetz über Steuerstatistiken (StStatG) geregelt:
Zu Beginn eines Bundesgesetzes wird ein Gesetzentwurf eingebracht. Dieser Entwurf kann von der Bundesregierung, dem Bundesrat und aus den Reihen des Bundestages initiiert werden. Diese sog. Referentenentwürfe entstehen in den jeweils zuständigen Bundesministerien; im Falle der Steuerstatistiken grundsätzlich im Bundesministerium für Finanzen (BMF). Es folgt das Gesetzgebungsverfahren. Demnach wirken alle Staatsgewalten, neben der Exekutive auch die Legislative und Jurisdiktion, an der Statistik mit. [1] Letztendlich entscheidet nicht die Bundesregierung, nicht die Wissenschaft und auch nicht die Statistikbehörde allein über die gesetzliche Grundlage, also über die Inhalte oder den Zugang der Daten – sondern der Gesetzgeber.
Es wäre demnach auch Aufgabe des Gesetzgebers, zu entscheiden, welche Daten für eine Evaluierung erforderlich sind und eben auch, wie der Datenzugang geregelt wird. Hier können Interessenkonflikte entstehen. Zum einen zeigen die jüngsten Entwicklungen mit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des BMF [2] oder der Datenstrategie der Bundesregierung ein erhebliches Interesse – vor allem seitens der Bundesministerien, etwa des BMF, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales oder des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nuklearer Sicherheit – an der Analyse und Verfügbarkeit von amtlichen Daten. Für die Fachgesetze sind sie federführend. Für das BStatG – und damit im Besonderen auch für den Datenzugang seitens der Wissenschaft – ist hingegen das BMI verantwortlich.
Die Gesetzesnovellierung des BStatG im Jahr 2016 führte u. a. dazu, dass aufgrund der Rechtsauffassung des Bayerischen Landesamts für Statistik keine bayerischen Einzeldaten zur Auswertung an Gastwissenschaftlerarbeitsplätzen der Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zur Verfügung gestellt werden. [2] Aus Sicht der Wissenschaft hat sich seit 2016 der Datenzugang zu Wirtschafts- und Steuerdaten damit erheblich verschlechtert. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Fachministerien bereits in der derzeitigen Legislaturperiode das zuständige BMI hätten überzeugen und um Klarstellung des § 16 Abs. 6 Nr. 2 BStatG bitten können. Der Gesetzgeber sollte ein Interesse an einheitlichen Regelungen haben.
Die statistischen Ämter verfügen über viele Datenschätze. Dazu gehören auch administrative Steuerdaten in Form der oben genannten Steuerstatistiken. Die statistischen Ämter haben, wie beschrieben, die Aufgabe, diese Daten gemäß des gesetzlichen Auftrags unter Wahrung des Datenschutzes zur Verfügung zu stellen; ob als Aggregatdaten oder in Form von Mikrodaten. Der Datenzugang zu letzteren ist über die Forschungsdatenzentren (FDZ) der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder gewährleistet. Mit den FDZ haben die statistischen Ämter eine organisatorische und technische Infrastruktureinrichtung geschaffen, deren rechtliche Grundlage in § 16 Abs. 6 BStatG verankert ist.
Durch die Einrichtung der FDZ haben sich beim Datenzugang die institutionellen Rahmenbedingungen und die damit verbundenen Auswertungsmöglichkeiten von Einzeldaten der amtlichen Statistik in den letzten Jahrzehnten grundlegend verbessert. Der Zugang zu den Mikrodaten der amtlichen Statistik ermöglicht so auch die Analyse differenzierter, wissenschaftlich nutzbarer Informationen unter Berücksichtigung der statistischen Geheimhaltung. [3]
Aufgabe der FDZ der statistischen Ämter ist es, den Zugang zu diesen Datenschätzen auf Mikrodatenebene – d. h. Einzeldaten beispielsweise über jeden einzelnen Steuerpflichtigen – unter Wahrung des Datenschutzes anzubieten. Als wichtige Dateninfrastruktureinrichtung ermöglichen sie es der Wissenschaft, unter gewissen Bedingungen die Daten auszuwerten und so auf solider empirischer Grundlage Kausaleffekte, Mikrosimulationen und andere Analysen durchzuführen [2], u. a. um so eine evidenzbasierte Politikberatung anbieten zu können. Einen Zugang erhalten nach § 16 Abs. 6 BStatG, dem sog. Wissenschaftsprivileg, deutsche Hochschulen oder sonstige Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung mit einer Zweckbindung für die Durchführung wissenschaftlicher Projekte.
Die FDZ haben sich zudem an den Bedarfen der Wissenschaft orientiert und das Datenangebot im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten weiterentwickelt. Beispielsweise wurden mit den Amtlichen Firmendaten für Deutschland (AFiD) sämtliche verfügbaren Mikrodaten der Wirtschafts-, Unternehmenssteuer- und Umweltstatistiken – soweit es inhaltlich und rechtlich möglich war – über die Betriebs- und Unternehmensnummern zu mehreren Panels zusammengeführt. [4]
Das Datenangebot in den FDZ wird stetig ausgebaut. So arbeiten die statistischen Ämter daran, die Steuerstatistiken zu georeferenzieren und auch die Statistik über die Forschungszulage, die Grundsteuer sowie E-Bilanz-Daten den FDZ bereitzustellen. Auch die Aktualität der Daten muss weiter verbessert werden. Doch gerade bei den Steuerstatistiken braucht es beschleunigte Steuerfestsetzungs- und Einspruchsverfahren, um Daten am aktuellen Rand anbieten zu können.
Die Arbeit der FDZ, also den Zugang zu amtlichen Daten für die Wissenschaft zu ermöglichen, ist enorm wichtig. Gerade in den letzten zehn Jahren ist die Bedeutung der empirischen Forschung für die evidenzbasierte Politikberatung sehr gestiegen.
Zusammengefasst sind die existierenden FDZ eine sehr wichtige informationelle Infrastruktureinrichtung und können eine wichtige Grundlage für externe Evaluierungen ermöglichen. Die statistischen Ämter bieten mit den FDZ – neben der fachlichen Expertise zu qualitativ hochwertigen und verlässlichen Daten – auch die Kernkompetenzen der amtlichen Statistik wie Neutralität, Objektivität, fachliche Unabhängigkeit und einen gleichberechtigten Zugang zu den Daten. [5]
Für eine Verbesserung dieser vorhandenen informationellen Infrastruktureinrichtung sind Anpassungen der rechtlichen Grundlage unabdingbar. Dafür braucht es Unterstützung; sowohl von der Wissenschaft als auch von der Politik als Nutzende der amtlichen Daten, um gegenüber dem Gesetzgeber entsprechende Rechtsgrundlagen einzufordern. Diese Rechtsgrundlagen sollten beinhalten, dass
Die aktuellen Diskussionen zur Datenstrategie der Bundesregierung oder auch die Frage nach der Evaluierung von Gesetzen zeigen, wie sehr die Bedeutung und Wichtigkeit von Daten auch für die Politik gestiegen ist. Gleichzeitig gilt es aber, die Unabhängigkeit der amtlichen Statistik als Datenproduzent zu wahren. „Damit stellt sich die Frage, ob die gesetzlich vorgeschriebene Unabhängigkeit vielleicht eher gewährleistet werden könnte, wenn die amtliche Statistik nicht länger Teil der Exekutive wäre?“ [7] Als Vorbild könnte zum einen die Unabhängigkeit der Bundesbank mit der Ressource Geld herangezogen werden. Einen vergleichbaren Stellenwert haben in den letzten Jahren Daten und Informationen erhalten. Insofern könnte die Ressource Information einen größeren Stellenwert bekommen, indem die deutsche amtliche Statistik eine der Bundesbank vergleichbare Unabhängigkeit erhält. Andere Institutionen wie der Bundesbeauftragte für Datenschutz oder die Rechnungshöfe könnten ebenfalls als Vorbilder dienen. Ist es also an der Zeit, die amtliche Statistik genauso unabhängig einzurichten und sie so dem Einfluss von Institutionen wie Politik und bedeutsamen Auskunftgebenden zu entziehen?
[1] Westerhoff, H.-D. (2007): Die amtliche Statistik in der demokratischen Gesellschaft, Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, Diskussionsbeitrag Nr. 91.
[2] Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2020): Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik, Gutachten 05/2020.
[3] Zühlke, S., Christians, H., Cramer, K. (2007): Das Forschungsdatenzentrum der Statistischen Landesämter – eine Serviceeinrichtung für die Wissenschaft, AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, 3-4/2007, S. 169–178 und Zühlke, S.; Zwick, M.; Scharnhorst, S.; Wende, T. (2003): Die Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Wirtschaft und Statistik 10, S. 906 ff.
[4] Malchin, A., Pohl, R. (2007): Firmendaten der amtlichen Statistik – Datenzugang und neue Entwicklungen im Forschungsdatenzentrum. Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung des DIW Berlin 76 (2007), 3, S. 8–16 und Malchin, A., Voshage, R. (2009): Official Firm Data for Germany. Schmollers Jahrbuch: Vol. 129, No. 3, pp. 501–513.
[7] Elsner, Eckart (1993): Macht und Zahl – Die Mächtigen, das Recht und die Statistik, S. 75.
[8] Greive, Martin; Hildebrand, Jan (2021): Traum für Ökonomen: Finanzministerium gründet Steuer-Forschungsinstitut, In: Handelsblatt.com, 22.06.2021, Abruf: 04.12.2021.
[9] Dr. rer. pol.Peuthert, Benjamin; Schaebs, Daniel Simon (2021): Forschung an den Steuerdaten von Bund und Ländern – Gründung eines Instituts für empirische Steuerforschung (IfeS). In: Otto-Schmidt-Verlag (Hrsg.): Der Betrieb, Heft 45/2021, Fußnote 2.
[10] Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit: Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), S. 17.
Dr. Ramona Voshage, Betriebswirtin, Leiterin der Abteilung Gesamtwirtschaft im Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistik, Finanz- und Steuerstatistiken, Forschungsdatenzentrum
Der Beitrag beruht auf der Teilnahme der Verfasserin als Diskutantin an der Online-Veranstaltung zum 77. Berliner Steuergespräch „Evaluierung von Normen – Möglichkeiten und Grenzen“ am 21.01.2021. Er erschien als Nachdruck in der Zeitschrift für amtliche Statistik Berlin Brandenburg. Die komplette Ausgabe 3+4/2021 lesen Sie hier.
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